D er Weg zum Genuss, hier führt er hinab, zehn Stufen, hinein in die Bar. Schuh- sohlen quietschen übers frische Schwarz, gerade wurde der Fußboden neu lackiert. Tiefe Ledersessel warten in dunklem Braun. Ganz hinten ein Piano, hier spielt der Chef auch selbst. Jetzt greift er zur Flasche. Stefan Gabányi schenkt Whisky ein. Longrow Single Malt. Noch bleibt der In- zidenz-Wert zu hoch für Gäste. Daher sind es die ein- zigen Gläser, die der Wirt an diesem Abend in seiner Münchner Bar befüllen wird. Genuss gehört zu den bedrohten Lebensarten. Restaurants und Gaststätten, Kneipen und Bars – al- les lange im Lockdown. Er sei Hausmann, aktuell, sagt Gabányi. Da kokettiert der Barmann. 23 Jahre lang hat er Nacht für Nacht in München im legendä- ren Schumann’s gearbeitet, als anerkannter Fachmann für Whisky. Seit 2012 betreibt er seine eigene Bar, of- fen bis früh um fünf, zu normalen Zeiten, einmal die Woche Live-Musik. Gerade erscheint sein Standard- werk »Schumann’s Whisk(e)y-Lexikon« auch in eng- lischer Übersetzung, für die Whiskyfreunde interna- tional. Gabányi schenkt ein, nur zum Riechen. Aber was heißt das schon: nur riechen? Wenn die Nase auf diesen Whisky nicht reagiert, wird es höchste Zeit für den Corona-Test. »Zunächst die Torfnote«, erklärt Gabányi. »Für manchen hat das auch etwas Medizinisches, etwas von Jod. Dann kommt aber auch schon die Frucht. Auch Nelke. Etwas Salz oder Pfeffer …« Dr. Tilman Sauerwald schnuppert konzentriert. »Etwas Süßes ist auch dabei«, rätselt der Fachmann vom Fraunhofer- Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV: »Birne?« Der Mensch riecht, solange er atmet. 350 Rezeptorty- pen arbeiten 24 Stunden, Tag und Nacht. Unabhängig von Schlaf oder Wachsein erregen Duftmoleküle die Riechzellen, produzieren einen Strom, der über die Nervenfasern ins Gehirn geleitet wird, erreichen die Gehirnareale des limbischen Systems, zuständig für Emotionen und Stimmungen, und den Hippocam- pus, verantwortlich für Erinnerung und Gedächtnis. Diese Standleitung macht das Riechen so unmittelbar – und für den Menschen so schwierig. Um das Unfass- bare auszudrücken, greifen Fachleute zu Wortkrü- cken. Gabányi berichtet von Whisky-Verkostungen in Schottland, wo sich die Kenner mit Leidenschaft in der Beschreibung der Duftnoten überbieten. »Wie eine nasse Pferdedecke«, hat er schon gehört. Oder auch: »Da rieche ich den Achselschweiß einer Möwe.« Dr. Tilman Sauerwald arbeitet an einem anderen Weg. Der Physiker und Experte für Gasmesstechnik ist Projektleiter im »Campus der Sinne«. In dieser Ini- tiative, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium 1 | 21 für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, er- forschen Fachleute vom Fraunhofer IVV und vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Kooperation mit der Friedrich-Alexander-Univer- sität Erlangen-Nürnberg Geruch und Geschmack – und wollen diese chemosensorischen Sinneswahr- nehmungen in maschinelle und digitale Konzepte überführen. Zusammen mit seinem Team hat sich Sauerwald für Whisky als Forschungsobjekt entschie- den. Ihn als Wissenschaftler fasziniert die Vielfalt, der Variantenreichtum, die Vielschichtigkeit. 350 Rezeptor- typen arbeiten 24 Stunden, Tag und Nacht. Diese Aromen schmeckt der Mensch im Whisky: Birne und Zitrus, Ingwer und Zimt. »Da habt ihr Euch etwas vorgenommen!«, staunt Gabányi. »Eine sehr komplexe Aufgabe«, bestätigt Sauerwald. In seiner Bar erklärt der Whiskymann die Aro- menvielfalt. »Das Wasser, ganz wichtig!«, sagt Gabá- nyi. Als Beispiel beschreibt er die Hebriden-Insel Islay, von Stürmen umtost, bekannt für die schottischsten aller schottischen Whiskys. Die Insel ist von Torf be- deckt, der das Wasser leicht gelblich färbt – und im Geschmack verändert. Das lässt den Phenolgehalt der Whiskys steigen. Zehn PPM im Malz machen leicht rauchig, ab 40 PPM wird’s ein Gebräu für Spezialisten. Gabányi spricht auch von den schottischen Brenn- blasen, Pot Still heißen sie, die für deutsche Obstbren- ner zu unsauber arbeiten würden, gerade deshalb aber komplexere Aromen befördern können. Dann kommt er zu den Fässern, für manchen Experten schlicht »die Mutter des Whiskys«, weil sie 60 bis 80 Prozent des Aromas entstehen lassen. Er berichtet von Sorten, 39 Süffige Fachliteratur für Liebhaber auf 600 Seiten. Aktuell ist die englische Übersetzung erschienen.