58 - BIOLOGISCHE TRANSFORMATION weiter.vorn 1.19 Der Regenwald als Vorbild Bevölkerungswachstum, schwindende Ressourcen, mangelnde Nachhaltig- keit – wie lassen sich solche Probleme der Menschheit in den Griff bekommen? In den Ökosyste- men der Natur finden sich zahlrei- che Vorbilder: etwa im tropischen Regenwald. Text: Janine van Ackeren Auf dem dunklen, schattigen Erdboden raschelt und wuselt es allerorten, während sich in den Baumwipfeln Affen von Ast zu Ast schwingen, schillernd bunte Vögel umherflattern und Insek- tenschwärme summend die Luft bevölkern. Im tropischen Regenwald leben die verschiedenen Spezies so dicht neben- und miteinander wie in kaum einem anderen Lebensraum. Und das, ohne ihr Lebensumfeld dabei zu zerstören. »Im Regenwald herrscht eine Kreislaufwirtschaft, in der die Ressourcen nahezu optimal verwendet werden – freigesetzte Nährstoffe werden umge- hend wieder genutzt«, bestätigt Prof. Christoph Schäfers, kommissarischer Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME. »Die Umwelt dort ist seit langer Zeit konstant, die Ressourcensitu- ation stabil. Die verschiedenen Arten konnten sich anpassen, spezialisieren und hochdiverse ökologische Nischen besetzen. Dadurch ist eine ökologische Klimaxsituation entstanden.« Die Voraussetzung dafür: intelligente Wertschöp- fungsnetze, die auf Vielfalt setzen und in denen alle sich bietenden Nischen besetzt werden. Von Klimaxökologie zur Klimaxökonomie Schön und gut – doch was hat das mit den Problemen der Menschheit zu tun? »Sehr viel«, ist Schäfers überzeugt. Denn die Natur kann in vielerlei Hinsicht als Vorbild und Ideengeber die- nen – und das nicht nur hinsichtlich konkreter Technologien. Sondern auch bei der Frage: Wie können wir begrenzte Ressourcen auch für die kommende Generation verantwortlich verfügbar machen? Wie können wir unseren Lebensraum Erde nachhaltig bewirtschaften? Ein Umdenkprozess ist dringend erforderlich. »Wenn wir uns weiterhin auf Wachstumszahlen fokussieren und noch das letzte Quäntchen Stei- gerung ermöglichen wollen, destabilisieren wir die Welt«, sagt Schäfers. »Denn die Ressourcen fließen in die Industrienationen, während das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern stattfindet. Was wir jetzt als Migrationsströme begreifen, sind Rinnsale – verglichen mit dem, was langfristig passieren wird, wenn wir nicht umdenken. Dann erübrigt sich die Klimaxökologie, denn dann haben wir keinerlei Stabilität mehr. Das Ziel muss daher ein Optimum an Kreislaufwirtschaft und Vernet- zung sein, was analog zur Klimaxökologie eine Klimaxökonomie bedeuten würde.« Es gibt keine Allgemeinlösung Wie das konkret aussehen kann, lässt sich am besten anhand von Beispielen erläutern, etwa der Mobilität. In urbanen Räumen sind die Ver- kehrssysteme kaum noch in der Lage, dem wach- senden Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Insbesondere besteht ein vielerorts ungelöstes »Last-Mile-Problem«: Der Mensch kommt mit öf- fentlichen Verkehrsmitteln zwar nahezu ans Ziel, tut sich aber schwer, die letzte Meile bis dorthin zurückzulegen – und steigt daher ins Auto. »Genau an dieser Schnittstelle können kleinere Akteure nach dem Vorbild der Klimaxökologie wertvolle Lösungsbeiträge liefern«, sagt Dr. Florian Herrmann, Bereichsleiter am Fraunhofer- Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. »Über digitale Plattformen zur Vermittlung einer angemessenen Mobilitätslösung, über elek- trische Roller, eingebettet in einem intelligenten Sharingansatz oder Ähnlichem, können sie eine Nische besetzen, die bisher noch verwaist war.« Ein wichtiges Stichwort bei der Klimaxökologie, ja man könnte sagen das Stichwort überhaupt, ist die Diversität. »Eine optimale Lösung, mit der man alle Probleme in den Griff bekommt – eine One-fits-it-all-Lösung –, kann es nicht geben. Vielmehr braucht es wie im Dschungel zahl- reiche unterschiedliche Ansätze«, konkretisiert Schäfers. Genau dies ist im Bereich der Mobilität zu beobachten: Zwar galt der PKW bislang als Universallösung. Mit den drohenden Fahrverbo- ten findet jedoch ein zunehmendes Umdenken bei der Wahl des Verkehrsträgers statt. Wie man Kooperationen von Start-ups mit anderen Firmen stärken und fördern kann, zeigt die Forschungsfabrik ARENA2036, an der unter anderem das Fraunhofer IAO beteiligt ist. Mit dieser Fabrik ist ein offenes Ökosystem entstan- den, in dem unterschiedliche Industrieunterneh- men, Start-ups und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Energie: Smart Grids verknüpfen Energiesysteme Auch im Bereich der Energie sieht der Forscher die Diversität als Weg der Wege. »Der Weg, immer größere zentrale Energieeinrichtungen aufzubauen, gehört ins letzte Jahrtausend. Auch die Windenergie kann nicht als alleinige Lösung funktionieren. Vielmehr brauchen wir ein ver- netztes System, mit dem wir die Energie-Erzeu- gung und den Verbrauch in Übereinstimmung bringen können«, ist Schäfers überzeugt. Herr- mann gibt ihm recht. Seine Kollegen arbeiten unter anderem an Mikro-Smart-Grids, die genau dieses Ziel verfolgen: Die Grids verknüpfen ver- schiedene Energiebausteine wie Pufferbatterien, Photovoltaik, H2-Speicherlösungen miteinander, sodass die benötigte oder zur Verfügung ste- hende Energie in einem lokalen Bereich – etwa einer großen Wohnanlage – optimal generiert, gespeichert, ausgenutzt oder abgegeben wird. Landwirtschaft: Robotik ermög- licht kleinteiligen Ackerbau Fährt man über Land, sieht man: Die Äcker werden größer, Monokulturen nehmen zu, die Diversität geht verloren. »Das ist eine ganz klare Fehlentwicklung«, ist sich Schäfers sicher. »Denn über die Phase, in der wir die Erträge auf diese Weise maximieren konnten, sind wir schon lange hinweg.« Ziel sei es, entgegenzuwirken und eine diversere Produktion aufzubauen. Bis vor Kurzem war ein solch kleinteiliger Acker- bau noch nicht denkbar, er war schlichtweg zu